Montag, 13. Februar 2012

Kurze Wege und Klima schützen? (ZEIT ONLINE)

Selbstversorger Kurze Wege

Wer sich nur von Lebensmitteln ernährt, die in der Nähe produziert werden, will oft das Klima schützen. Eine neue Bewegung erklärt das Regionale nun zum Prinzip – obwohl der Transport gar nicht immer das Entscheidende ist.

Als sich Michelle Obama mit einem Spaten in der Hand im Garten des Weißen Hauses zeigte, waren die Medien überrascht. Immerhin präsentiert sich eine Präsidentengattin nicht alle Tage mit Dreck an den Fingern. Es sollte ein Denkanstoß für die Amerikaner sein, sich gesünder zu ernähren. Umweltfreundlich ist der präsidiale Gemüsegarten außerdem: Der Weg der Bohnen auf die Teller der First Family ist denkbar kurz und verursacht somit fast keinen CO2-Ausstoß. Auf diesen Effekt setzt auch eine Bewegung, die in den USA schon länger existiert als die Obama-Beete: die Locavores. Eine Wortschöpfung aus »lokal« und dem lateinischen Wort für »verschlingen«.

Selbstversorger

Holger Baade, Landschaftsgärtner, ist ganz auf sich gestellt: Er produziert fast alles selbst, was er isst

»Ich habe 2005 angefangen, auf Selbstversorgung umzustellen. So was wie abgepacktes Fleisch kann ich nicht essen. Wenn, dann esse ich Wild, das ich selbst gejagt habe, oder die Hühner, Schweine und Schafe, die ich hier halte. Mein Gemüse produziere ich selbst: Bohnen, Erbsen, alte Tomatensorten. Am Anfang sind mir natürlich Fehler passiert. Meinen ersten Kohl, aus dem ich Sauerkraut für den Winter machen wollte, haben mir die Raupen aufgefressen, und der Habicht hat einige Hühner geholt – daraus habe ich gelernt, dass man einen Teil an die Umwelt abgeben muss. Nur ein paar Sachen kaufe ich noch: Müsli, Leinöl, Soja und Reis aus dem Bioladen. Die Gartenarbeit macht mir so viel Spaß, ich kann abends gar nicht aufhören. Man arbeitet für sich und sieht, wie alles fortschreitet. Ich bin unabhängig und kann mich frei entfalten. Ich lerne immer dazu. Dieses Jahr wird es Honig geben, ich habe mir Bie- nen angeschafft. Aber wenn mir danach ist, mal einen Rum mit Cola zu trinken, dann mache ich auch das.«

Ihren Ursprung haben die Locavores in San Francisco. Dort rief 2005 eine Gruppe dazu auf, sich zunächst einen Monat lang nur von Lebensmitteln zu ernähren, die in einem Umkreis von 100 Meilen um den eigenen Wohnort herum produziert wurden. Seither wiederholen sie die Aktion Jahr für Jahr. Einige sind ganz auf das Locavores-Leben umgestiegen.

Was kann man einfach anbauen?
Auf dem Balkon
In der Wohnung

Leicht anzupflanzen und robust sind Radieschen, Karotten, Kohlrabi, Bohnen, Salat und Küchenkräuter. Auch Zucchini und Kürbisse sind dankbare Gemüsesorten. Gut sind für Blattgemüse oder Möhren auch sogenannte Saatbänder: schmale Papierstreifen, auf denen die Samen im richtigen Abstand aufgebracht sind. Das lästige Verziehen kann man sich damit sparen. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, kauft in der Gärtnerei einfach fertige Jungpflanzen.

Ihre Idee bekam großen Zuspruch. In Metropolen wie New York begannen Leute, hinterm Haus Kürbisse zu ziehen, in gemeinschaftlich organisierten Gärten Erdbeeren anzubauen und Bienenstöcke auf Hochhausdächer zu stellen. Auch in einigen deutschen Städten haben sich mittlerweile Gruppen gegründet, die den Übergang in eine energiebewusste Zukunft organisieren wollen – unter anderem mit regional produziertem Essen. Das Oxford Dictionary erklärte locavores 2007 zum Wort des Jahres, und die Times schrieb, dass local das »neue bio« sei. Denn seit es einen globalen Markt für Bioprodukte gibt, legen auch diese zum Teil lange Wege zurück – und verursachen dabei CO2.
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Doch Studien deuten darauf hin, dass es nicht einfach ist, gut von böse zu unterscheiden. Elmar Schlich von der Justus-Liebig-Universität Gießen konnte mit seiner Forschung zeigen: Nicht der Transport ist der entscheidende Faktor, sondern die Größe des Betriebes, in dem etwas produziert wird. »Wir haben die gesamte Prozesskette analysiert, von der Produktion bis zum Verkaufspunkt. Dabei zeigt sich, dass die kleinen Betriebe im Vergleich zu größeren Herstellern zwischen zwei- und achtmal so viel Energie pro Kilogramm Lebensmittel aufwenden müssen. Unabhängig davon, wo das Lebensmittel herkommt.« Ein Apfel aus Südafrika kann also eine bessere Energiebilanz haben als einer vom regionalen Bauern. Und auch Rindfleisch aus Argentinien kann besser abschneiden als deutsches, denn meist wird es in großen Mengen mit dem Schiff transportiert. Anders sieht es aus, wenn etwas eingeflogen wird: »Wenn Lebensmittel mit dem Flugzeug kommen, ist die Ökobilanz im Keller – bei Erdbeeren aus Kenia im Winter zum Beispiel«, erklärt Schlich. Seiner Meinung nach wäre es daher gut, das Transportmittel auf Lebensmitteln zu anzugeben.

Auch das Verhalten der Käufer ist ausschlaggebend. Die schlechteste Energiebilanz hat ein Produkt nämlich dann, wenn man mit dem Au- to zum Einkaufen fährt. »Im Durchschnitt kommen dadurch beim Einkauf etwa 200 Gramm CO2 pro Kilogramm Lebensmittel hinzu«, sagt Schlich. »Das entspricht einer Autofahrt von ein bis zwei Kilometern. Bei Äpfeln wäre das sogar mehr, als deren Transport von Südafrika nach Hamburg verursacht.«

Regional erzeugte Produkte sind nur dann wirklich klimafreundlicher, wenn sie aus landwirtschaftlichen Betrieben kommen, die zusammen mit an- deren den Transport organisieren. Doch auch dann hält Schlich die Idee der Locavores in Deutschland für nicht umsetzbar: Die landwirtschaftliche Fläche reiche schlicht nicht aus, um 82 Millionen Menschen mit regionalen Lebensmitteln zu versorgen. Selbstversorger wie Holger Baade werden die Ausnahme bleiben. Für alle Hobbygärtner, auf deren Speiseplan zumindest teilweise eigenes Obst und Gemüse stehen, hat Schlich eine gute Nachricht: Die allerbeste Energiebilanz, so sein Ergebnis, hat der Apfel aus dem eigenen Garten.


Quelle: http://www.zeit.de/zeit-wissen/2011/s2/Natur-Selbstversorger

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